Mein Weg zur Schiefen-Therapeutin – Teil 2

Die letzten beiden Wochen verbrachte ich wieder bei Familie Schöneich in Bedburg-Hau, um den zweiten Teil meiner Ausbildung zur Schiefen-Therapeutin zu absolvieren.

Und wie schon im ersten Teil gab es wieder wahnsinnig viel zu sehen und zu lernen.

Einige Pferde, die ich bereits in den ersten Wochen betreut hatte, waren noch dort, so dass ich deren Entwicklung während meiner einwöchigen Ausbildungspause beobachten konnte.

Ich bin immer noch begeistert über die Ergebnisse, die bereits nach 3 Wochen Arbeit erreicht werden konnten: Ein flüssiger, leichter Bewegungsablauf hat sich bei den Pferden eingestellt. Der Rhythmus hat sich von einem nähmaschinenartigen Trab-Stakkato in ein kraftvolles, ästhetisches Schwingen gewandelt. Da ich neugierig war, ob der Unterschied auch für einen Laien erkennbar ist, habe ich eine Vorher-nachher-Videosequenz einer Nicht-Reiterin gezeigt, die nach fassungslosem Staunen nur den Kommentar „Das ist ja der Wahnsinn!“ abgeben konnte.

Wie ist es aber möglich, dass Familie Schöneich den Pferden nach nur 3 bis 4 Wochen Longentraining solche Bewegungen entlocken kann – und das bei Pferden, die vielfach bereits medizinisch abgeschrieben waren und als letzte Option vor dem Schlachter ins ARR gebracht worden sind?

Die Arbeit dort basiert auf der Erkenntnis, dass die Schiefe des Pferdes für den Großteil aller auftretender Probleme beim Pferd verantwortlich ist, seien das medizinische Erkrankungen (teilweise auch Taktunreinheiten ohne medizinisch erklärbare Ursachen) oder Probleme in der Ausbildung (Steigen, Bocken, mangelnde Rittigkeit usw.).

Woher aber resultiert diese Schiefe? Viele verstehen unter Schiefe, dass das Pferd sich nicht zu beiden Seiten gleich gut biegen lässt. Das ist zwar nicht falsch, aber erklärt nicht wirklich die URSACHE, sondern beschreibt lediglich ein Symptom.

Die Schiefe ergibt sich aus dem Umstand, dass das Pferd von Natur aus vorhandlastig ist, also der größte Teil seines Gewichtes auf der Vorhand liegt. Aber das geschieht nicht gleichmäßig, sondern ein Vorderbein fängt mehr Gewicht ab als das andere. Man könnte es daher auch das „starke“ Bein nennen, vergleichbar mit der starken rechten Hand eines Rechtshänders.

In Bewegung versucht das Pferd deshalb, mit diesem starken Vorderbein möglichst schnell wieder aufzufußen und sich so abzustützen. (Das ist für ein Pferd völlig natürlich und genetisch in seinem Bewegungsmuster verankert – also noch kein Grund, den Osteopathen zu bestellen, um das zu therapieren.) Besonders deutlich wird dies, wenn das Pferd auf einem Kreisbogen läuft. Es kommt in Schräglage, die starke Vorhand wird überlastet und die Hinterhand muss gegensteuern. (vgl. die Bilder auf meiner Homepage in der Rubrik „Lehrinhalte-Gymnastisches Longieren“ http://www.evolution-der-reitkunst.de/lehrinhalte/longieren.html). Stress wegen der permanenten Balance-Probleme kommt hinzu. Durch den Versuch, das starke Vorderbein möglichst schnell abzusetzen, wird die Bewegung der Vorhand gehemmt, der gesamte Rumpf sinkt ab, und ein nach oben schwingender Rücken wird für das Pferd unmöglich. Der nach oben schwingende Rücken ist jedoch die Grundvoraussetzung dafür, dass ein Pferd den Reiter tragen kann, ohne dadurch gesundheitliche Schäden zu erleiden.

Zur Verdeutlichung zwei Bilder von Zasca:

Im ersten Bild sieht man, dass er seine Vorhand „festgestellt“, quasi in den Boden gerammt hat. Der Kopf ist hochgerissen, der Unterhals hebelt den Hals nach oben und der Rücken hängt sehr stark nach unten durch. Hier liegt die Ursache für die sog. Kissing Spines.

Im zweiten Bild hat Zasca die Vorhand deutlich angehoben. Das ist dadurch möglich, dass er sein Gewicht von der Vorhand auf die Hinterhand verlagert hat (zu erkennen an der sehr guten Hankenbiegung). Der Hals ist zwar ebenfalls stark aufgerichtet, aber nicht über die Unterhalsmuskulatur, sondern als Resultat der Anhebung der Schultern. Die Rumpf und der Rücken sind ganz deutlich angehoben (dieser Rücken ist tragfähig!) und das ganze Pferd wirkt geschlossener und kompakter.

Jetzt wird vielleicht klarer, warum heute so viele Pferde mit (medizinischen) Problemen zu kämpfen haben. Sie sind schlicht nie gerade gerichtet worden. Da das Geraderichten aber ein Element der klassischen Skala der Ausbildung und daher offensichtlich keine unbekannte Größe ist, lässt das nur den Rückschluss zu, dass es weitläufig am nötigen Wissen mangelt, die Schiefe des Pferdes durch methodisches Training zu beheben.

Familie Schöneich verfügt über dieses Wissen und hat daher mit ihrer Arbeit so viel Erfolg. Ich bin sehr froh und auch stolz darauf, dort lernen zu dürfen. Nicht zuletzt, weil ich mich dort auch persönlich sehr gut aufgehoben fühle. Offene Fragen werden immer beantwortet. Der Unterricht ist präzise, lässt mir jedoch auch die nötige Freiheit, meine eigene Kreativität in der Longenarbeit zu entwickeln.

Auf die Fortsetzung im nächsten Jahr freue ich mich jetzt schon!