Vergleichsfotos… oder Nachher ist alles besser – vielleicht!?

Man kennt es aus der Werbung in Zeitschriften oder im Fernsehen….die neusten Wundermittel gegen Übergewicht, Haarausfall und sonstige Befindlichkeiten werden mit spektakulären Vorher-nachher-Bildern untermauert….Einmal ein Pülverchen geschluckt…zack… 20kg weg. Einfach so!!

Bei näherer Betrachtung beschleichen einen jedoch Zweifel, ob das alles mit rechten Dingen zugeht.

Ähnliche Gefühle regen sich bei mir mitunter, wenn ich im Internet Vorher-nachher-Fotos von Pferden sehe, mit denen Trainer, Therapeuten und sonstige Fachkräfte ihre Kompetenz demonstrieren wollen. Keine Frage: Werbung darf und muss sein fürs Geschäft. Und Fotodokumentationen sind ein tolles Mittel, um Therapie- und Trainingsverläufe festzuhalten. Auch können dadurch Dritte ihren Wissensstand erhöhen und dazu lernen, gerade wenn es noch ausführliche Beschreibungen zu den Bildern gibt.

Teilweise machen sich wirklich kompetente Leute sogar die Mühe und investieren viel Zeit darin, für interessierte Pferdebesitzer eine Exterieurbeurteilung anzufertigen und den aktuellen Muskelstatus zu analysieren.

Jedoch müssen bestimmte Kriterien erfüllt sein, wenn man auf die Ferne, nur anhand von Fotos beurteilen möchte, ob sich der Zustand eines Pferdes in einer bestimmten Zeit verändert hat.

So ist es unumgänglich für eine seriöse Bildbeurteilung, dass das Pferd sich auf beiden Fotos in derselben Pose befindet und aus identischer Perspektive fotografiert worden ist.

Diese Bilder sind für einen Vergleich absolut ungeeignet, was die Muskulatur angeht. Die Kopf-Hals-Position ist zu verschieden und die Trabphase nicht identisch. Was man allerdings sehen kann: Im unteren Bild ist das Pferd deutlich losgelassener mit ruhigem Takt unterwegs. Oben ist es nur auf der Flucht.

Hier sind die Trabphasen identisch. Im oberen Bild scheint das Pferd „bergab“ zu laufen. Die Kruppe wirkt höher als der Widerrist, im Hals ist ein falscher Knick zu sehen. Die Bemuskelung der Hinterhand im Vergleich zur Vorhand ist schwach. Im unteren Bild ist das Pferd viel geschlossener. Die Kruppe wirkt tiefer, der Brustkorb angehobener, das Becken ist gekippt. Das Genick ist der höchste Punkt und geöffnet. Die Muskulatur von Vor- und Hinterhand ist harmonischer.

Das bedeutet zB im Stehen, jeweils nach rechts bzw links schauend, mit vergleichbarer Kopf-Hals- und auch Beinposition.

Die Bilder eignen sich gut für einen Vergleich. Das Pferd schaut nach links und steht geschlossen. Nicht ganz optimal ist beim untere Foto, dass die Kamera nicht genau waagerecht gehalten wurde. Oberes Bild: Das Pferd wirkt schwer im Brustkorb, der Rumpf hängt nach unten, die Bauchdecke und der Rücken sind schwach, die Kruppe ist gerade und das Becken nicht gekippt. Dadurch stehen die Hinterbeine weit nach hinten heraus. Der Schweif wird wie ein Bleistift gehalten. Das ganze Pferd zeigt deutliche Anzeichen von Verspannungen und Unwohlsein. Unteres Bild: Die Oberlinie im Hals beginnt sich zu entwickeln. Das Pferd wirkt mehr „bergauf“, der Brustkorb gehobener. Das Becken hat sich positiv gekippt. Dadurch rundet sich die Kruppe, die Schweifhaltung entspannt sich und die Hinterbeine stehen mehr unterm Körper.

Ist das Pferd einmal von links, und einmal von rechts dargestellt, kann sich eine unterschiedliche Muskelsituation allein aus dem Umstand ergeben, dass kein Körper absolut symmetrisch ist.

Die Halshöhe beeinflusst den Verlauf der Rückenlinie. Hat das Pferd den Kopf gesenkt, wird Zug auf das Nacken-Rücken-Band ausgeübt und der Rücken hebt sich an. Der an sich vielleicht vorhandene Senkrücken ist wie weggezaubert, zumindest solange, das Pferd den Kopf nicht mehr anhebt.

Und auch die Position der Gließmaße wirkt sich auf das Erscheinungsbild der Muskulatur aus.

Das möchte ich mit den folgenden Bildern verdeutlichen.

Hier sieht man jeweils den Bereich hinter der linken Pferdeschulter. Vorbildlich wurde aus derselben Perspektive bei identischem Lichteinfall fotografiert. Auf dem oberen Bild ist die Muskulatur um den hinteren Teil des Trapezmuskels jedoch viel mehr eingefallen als unten.    Nun könnte man meinen, die Veränderung sei auf den tollen Trainer, die Wunderhände der Physio und/oder die heilenden Akupunkturnadeln zurückzuführen (die Liste kann beliebig erweitert werden!).

Die Lösung ist jedoch viel einfacher:

Im oberen Foto hat das Pferd sein linkes Vorderbein weiter zurück, im unteren Foto nach vorn gestellt.

Die Veränderung in der Muskulatur erklärt sich mit der Funktion des (hinteren Teils des) Trapezmuskels. Dieser agiert als Vorführer und Heber der Gesamtgliedmaße, aktiviert sich also, wenn das Vorderbein dieser Seite nach vorn geführt wird.

Dadurch wirkt die Muskulatur dort praller.

Diese Tatsache kann man sich übrigens auch zunutze machen, um seinem Pferd auf einem Foto ganz ohne Photoshop mehr Muskelmasse zu verpassen. Fotografiert man das Pferd nach einem anspruchsvollen Training und die Muskulatur ist gut mit Blut versorgt, sieht es voluminöser und bemuskelter aus. Deswegen pumpen Bodybuilder direkt vor dem Wettbewerb auch nochmal kräftig Gewichte.

Vergleichsbilder sollten immer das gesamte Pferd und nicht nur eine bestimmte Körperstelle zeigen. Nur so wird deutlich, ob zB der Hals auf dem einen Bild vielleicht ganz anders getragen wird, das Bild jeweils aus derselben Perspektive aufgenommen wurde oder der vermeintliche Muskelzuwachs vielleicht einfach nur ein Mehr an Fett ist.

Die Frage Fett oder Muskulatur lässt sich nämlich anhand eines einzelnen Körperteils per Foto nicht so leicht beantworten, sondern nur mit Blick auf die restliche Muskulatur des Pferdes. Füttert man beispielsweise ein mageres Pferd auf, bei dem man die gesamte Wirbelsäule klar erkennen konnte, wirkt der Bereich der Rückenmuskulatur durch ein Mehr an Fett natürlich gleich viel praller und kräftiger. Hat sich aber gleichzeitig der Bauchumfang deutlich mit vermehrt und der Bauch hängt nun kugelig nach unten, spricht das ganz klar gegen einen reelen Muskelzuwachs. Denn eine stärkere Bemuskelung am Rücken hat immer auch eine Stärkung und Straffung der Bauchmuskulatur zur Folge.

Rechts im Bild sieht man eine deutliche Straffung der Bauchdecke sowie eine entspanntere Oberlinie. Im linken Bild ist der zwar geschlossene, aber sehr breite Stand der Vorderbeine auffällig, den das Pferd immer eingenommen hat, um sich zu stabilisieren. Die aufgekrümmte Oberlinie hinter der Sattellage deutet darauf hin, dass das Pferd versucht, bestimmte Körperteile zu entlasten.

Genauso wächst der lange Rückenmuskel gemeinsam mit dem Trapezmuskel. Ist der Trapezmuskel im Nachher-Bild also voller, der übrige Rückenmuskel aber nicht, stimmt etwas nicht.

Letztlich kann auch nur bei einem Ganzkörperfoto beurteilt werden, ob es sich bei beiden Pferden tatsächlich um dasselbe Tier handelt.

Sieht man immer nur einzelne Körperregionen im Vorher-nachher-Vergleich, hat das Ganze schnell einen Beigeschmack von Effekthascherei und Nepper-Schlepper-Bauernfänger und wirkt nicht sehr seriös. Der unerfahrene Pferdebesitzer wird vielleicht auf solche Fotos anspringen. Letztlich sagen solche Bilder über die vorhandene Kompetenz aber nur sehr wenig aus. Auskunft darüber gibt nur das Pferd selbst.