Der Sattel – eine unendliche Geschichte

In letzter Zeit habe ich mir einige Gedanken zum Thema „Sattel“ gemacht. Der Sattel sollte zunächst einmal dem Pferd passen – Soweit klar! Er sollte aber auch dem Reiter passen, also hinsichtlich der Größe der Sitzfläche, der Form der Pausche etc., mit anderen Worten auf dessen Anatomie eingerichtet sein und eine lockere korrekte Sitzposition zulassen.

Der Reiter kann glücklicherweise unmittelbar ein Feedback darüber abgeben, ob er sich in einem Sattel wohlfühlt oder nicht. Wenn er sich eingezwängt fühlt, die Beine nach vorne oder hinten gezogen werden und nur mit Anstrengung in eine neutrale Position zu bringen sind oder keine senkrechte Oberkörperposition möglich ist, sollte man sich nach einem anderen Modell umschauen.

Doch wie sieht es mit dem Pferd aus? Der Reiter meint es (hoffentlich) gut und ruft – mangels eigener Fachkompetenz und Erfahrung – einen Fachmann…den Sattler! Am Besten jemanden mit gutem Ruf und Empfehlungen verschiedener Kunden.

Läuft es gut, kommt der Sattler vor Ort, hat mehrere in Frage kommende Modelle dabei und man kann ausgiebig testen. Die Entscheidung wird auf das Modell fallen, in dem man sich am wohlsten gefühlt hat. Vielleicht nimmt der Sattler noch letzte Feinabstimmungen an der Kammerweite oder den Polstern vor, um den Sattel optimal ans Pferd anzupassen. Die große Frage bleibt aber, ob auch das Pferd sich damit wohlfühlt?! Ich behaupte, dass das oftmals durchaus gute Sitzgefühl für den Reiter darüber hinwegtäuscht, dass das Pferd möglicherweise nicht wirklich zufrieden ist mit dem Sattel. Das eigene Feingefühl wird schon dadurch getrübt, dass der Sattler schließlich der Experte sei und die Passform beurteilen könne. Da ist eigene Kontrolle unnötig!

Sehr oft bekomme ich von Kunden auf meine Frage, ob der Sattel denn passe, die Antwort: „Ja, der wurde vom Sattler angepasst!“

Leider muss ich feststellen, dass der angeblich passende Sattel in Wirklichkeit so gar nicht passen mag…..grob geschätzt in 90 % der Fälle ist das so.

 

Hier eine kleine (nicht abschließende) Auswahl der „Problemzonen“:

–          Der Sattel ist zu lang.

In letzter Zeit beobachte ich immer häufiger, dass Leuten ein Sattel mit viel zu großer Sitzfläche verkauft – oder sollte man eher sagen „angedreht“ – wird. Da wird einem zierlichen Haflinger ein 18-Zoll-Sattel verpasst, weil die Dame mit Kleidergröße 38 in keinen 17,5er passen würde. Ob der Sattel dem armen Tier auf der Kruppe hängt, ist ja erstmal egal….

Pferdeosteotherapeuten oder – physiotherapeuten beschreiben den Bereich hinter der Sattellage gern als „Pferde-Problemzone“, wo sehr häufig Blockaden, Verspannungen und schmerzhafte Stellen beim Pferd gefunden werden….Könnte es sein, dass in diesem Bereich drückende Sättel mitverantwortlich dafür sind???

 

–          Der Schwerpunkt stimmt nicht.

Der Schwerpunkt der Sitzfläche sollte mit dem Schwerpunkt des Pferderückens übereinstimmen, denn im Schwerpunkt des Pferdes sollte das Hauptgewicht lasten. Meistens sehe ich Sättel, wo der Schwerpunkt zu weit hinten sitzt. Das mag in gewissem Rahmen im Westernsattel akzeptabel sein, wenn ich bei manchen Manövern à la John Wayne im Sattel sitze. Im traditionellen Sattel hat ein solcher Sitzstil aber nichts verloren.

Gesundheitliche Folgen für das Pferd sind denen eines zu langen Sattels vergleichbar.

Der Reiter muss bei einem solchen Sattel seine senkrechte Position verlassen, um in Balance zu bleiben und wird versuchen, den zu weit hinten sitzenden Schwerpunkt über Spalt- oder Stuhlsitz auszugleichen. Das Reiten über Gewichtshilfen und Körperspannung wird fast unmöglich.

 

–          Die Polsterung ist zu hart.

Häufig wird die Passform von Sätteln mittels Aufpolsterung korrigiert. Dabei muss berücksichtigt werden, dass das nicht unbegrenzt möglich ist, sondern nur soweit, wie das vorhandene Ledermaterial es zulässt. Dadurch steht man dann irgendwann vor dem Problem, dass die Polster „prall“ gefüllt sind und dadurch knochenhart werden. Das Polster mit dem Finger etwas eindrücken zu wollen, geht nicht.

Der Pferderücken sollte in der Bewegung locker schwingen. Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass ein Pferd sich so bewegen wird, wenn ihm ein brettharter Sattel im Rücken hängt. Sicher sollte die Polsterung auch nicht zu weich sein. Denn dann ist keine gleichmäßige Gewichtsverteilung mehr möglich. Aber ein Mindestmaß an Nachgiebigkeit sollten die Polster haben.

 

–          Die Begurtung ist unvorteilhaft angebracht.

Bei vielen Sätteln kommt die hintere Strupfe von schräg hinten oben und kriegt Zug nach vorne unten. Das hilft zwar, den Sattel am Pferd zu fixieren. Jedoch wird der Sattel dadurch nach vorne unten Richtung Schulter gezogen und blockiert damit deren Bewegungsmöglichkeit.

Für den Sattelverkäufer ist eine solche Begurtung eher günstig, da sie Passformmängel, wie starkes Wippen in der Bewegung dezent kaschiert.

 

–          Und last but not least: Der Sattel ist zu eng.

Bei fast 90 % der mir gezeigten Sättel ist kein Platz für eine ausreichende Beweglichkeit des Schulterblattes vorhanden. Manchmal so wenig, dass „kein Blatt Papier“ mehr zwischen Sattel und Pferd passt.

Dadurch wird das Pferd massiv in seiner Bewegung beeinträchtigt. Denn das Schulterblatt, das bitte VOR dem Sattel liegen sollte und NICHT darunter (Ausnahme: Westernsattel!), rotiert beim Laufen mit der oberen Spitze nach hinten. Das bedeutet, der Sattel muss diese Rotation ermöglichen. Stößt das Schulterblatt aber an einem zu engen Sattel und einer zu festen Polsterung an, wird das Pferd zu keiner lockeren raumgreifenden Bewegung zu ermuntern sein. Ein Schreiten ist nicht möglich, das Pferd geht klamm.

Ein gut passender Sattel sollte über die gesamte vordere Länge gleichmäßig viel Platz lassen, so dass man mit der Hand ab der Kammer nach unten am Sattelblatt entlang durchfahren kann. Punktueller Druck ist NICHT akzeptabel.

Oft kommt hier das Argument der Sattler: „Aber der Sattel muss doch irgendwo aufliegen!“ Das ist richtig, aber bitte nicht genau da und schon gar nicht punktuell! Das zu berücksichtigen IST möglich. Die praktische Umsetzung ist dann in der Tat Aufgabe der Fachleute.

 

Sind alle vorgenannten Punkte erfüllt, geben sich viele zufrieden. Der Sattel passt – Hurra!

Rein technisch tut er das vielleicht. Ich gehe aber noch einen Schritt weiter und frage den, der mit dem guten Stück herumlaufen muss: Das Pferd!

Ein Pferd darf sich in der Qualität seiner Bewegung mit einem Sattel auf dem Rücken nicht verschlechtern. Optimalerweise hilft ein gut passender Sattel dem Pferd sogar, sich positiv zu bewegen.

Um eine Aussage darüber treffen zu können, wie der Sattel die Bewegung des Pferdes beeinflusst, schaue ich zunächst das Pferd ohne Sattel an der Longe an. Wie bewegt es sich? Ist die Vorhand frei und greift weit nach vorne? Schwingt der Rücken? Tritt die Hinterhand zum Schwerpunkt? Ist das alles nicht der Fall, muss ich die genannten Punkte erst durch entsprechendes Training korrigieren. Vorher kann ich kein abschließendes Urteil über einen  Sattel abgeben. Denn nur, weil das Pferd MIT Sattel genauso schlecht läuft wie OHNE, heißt das noch nicht, dass der Sattel passt.

Bewegt sich das Pferd ohne Sattel zufriedenstellend, wird nochmals mit Sattel aber ohne Reiter (dieser kann die Bewegungsfähigkeit auch beeinflussen) longiert. Sind hier selbst kleinste negative Veränderungen in der Bewegung sichtbar, fühlt sich das Pferd mit dem Sattel NICHT wohl und man muss versuchen, die Ursache zu finden.

Der gern genommenen Satz „Für dieses Pferd gibt es den optimal passenden Sattel nicht!“, hat seinen Ursprung oftmals in Bequemlichkeit und mangelnder Kompetenz. Ich würde mich nicht damit zufrieden geben, dass ein Pferd mit einem Sattel offensichtlich schlechter läuft.

Im Zweifel ist es nötig, einen Maßsattel anfertigen zu lassen, um einer unglückliche Sattellage gerecht zu werden. Aber auch da ist Vorsicht geboten. Die Werbeversprechen sind wohlklingend, man hat einen internationalen Kundenkreis, lange Wartezeiten wegen der hohen Nachfrage und jahrzehntelange Erfahrung im Sattelbau.

Erst letzte Woche wurde ich Zeuge, wie der Mitarbeiter einer renommierten Maßsattlerei aus dem Berliner Raum beim Kunden war, um die Passform zu kontrollieren. Der Sattel wurde am stehenden Pferd begutachtet und als „perfekt“ bewertet. Der zu weit hinten liegende Schwerpunkt wurde ebenso wenig bemängelt, wie die viel zu enge Kammer oder das nicht gleichmäßig aufliegende Polster. Da der Sattler das Problem nicht verstehen wollte oder konnte, wurde das Pferd vorgeritten. Es zeigte mit dem Sattel deutliche Taktstörungen schon im Schritt und ist dem Reiter unterm Allerwertesten weggelaufen. Mit einem anderen Sattel, der nicht auf das Pferd angepasst war, ging das Pferd sofort taktklar und in ruhigem Tempo.

Noch heute bin ich mir unschlüssig, welche der Aussagen des Sattlers ich als die größte Frechheit einstufen würde: Den Satz, er habe eigentlich keine Zeit, um sich das Pferd unterm Sattel anzusehen, die Aussage, er könne nicht erkennen, dass das deutlich taktunrein gehende Pferd mit dem andern Sattel viel besser läuft oder die Information, er würde den Sattel mit in die Werkstatt zum Chef nehmen (der den Sattel auf diesem Pferd nie gesehen hat), was aber noch mindestens 14 Tage dauern würde, da er vorher nicht in die Hauptgeschäftsstelle fahren würde…Ein toller Service, all inclusive beim 4000 EUR-Maßsattel!!

Ich kann nur jedem Pferdebesitzer den Rat geben: Vertraut nicht blind irgendwelchen Experten! Stellt kritische Fragen und hört genau auf Euer Pferd. Das kann am besten beurteilen, ob (ihm) der Sattel passt.